Interview mit Krankenschwester

Interview mit Krankenschwester

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Der Artikel „INTERVIEW MIT EINER KRANKENSCHWESTER – Es sind einfach viel zu wenig gute Kräfte in den Krankenhäusern vorhanden!“ erschien in der EN-Aktuell 03/23. In der Zeitschrift ist nur ein gekürzter Teil des Interviews zu lesen. Das komplette, ungekürzte Interview finden Sie hier – zum Anschauen, Anhören oder Lesen.

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Wir haben sie in der Corona-Zeit beklatscht, sie bejubelt und ihnen eine Besserung ihrer Arbeitsbedingungen versprochen: unseren Pflegekräften. Aber wie sieht ihr Arbeitsalltag heute wirklich aus und wie ist die Situation in unseren Krankenhäusern? Wir haben mit einer Krankenschwester aus dem EN-Kreis ANONYM gesprochen, um ein Bild der aktuellen Situation in unseren Krankenhäusern zu bekommen. Wir möchten Ihren echten Namen nicht nennen, um ihr Arbeitsverhältnis nicht zu gefährden und sprechen sie deshalb mit dem Namen Veronika an.

Liebe Veronika, erst einmal vielen Dank für Dein Vertrauen und Deinen Mut dieses Interview mit uns zu führen. Du möchtest anonym bleiben, um Deinen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Und natürlich ist Veronika auch nicht Dein richtiger Name.

In der Corona-Zeit rückten die Pflegekräfte in den Fokus der Öffentlichkeit. Es wurde geklatscht, sie alle wurden gefeiert, aber auch auf ihre schwierige Situation wurde hingewiesen. Da möchte man meinen, da möchte man hoffen, dass sich etwas getan hat, dass die Arbeitsbedingungen besser geworden sind. Ist es denn so?

Also glücklicherweise habe ich zur Corona-Hochzeit nicht in der Klinik gearbeitet. Das hatte private Gründe. Als ich wiederkommen wollte hat meine Station in dem Sinne so gar nicht mehr existiert, da meine Kollegen sehr viel im Haus verteilt worden sind und wussten heute nicht, wo sie morgen arbeiten werden. Jetzt bin ich zurück und es ist tatsächlich ganz anders, als es vorher war. Es ist auf keinen Fall besser geworden, wie es uns von unserem Gesundheitsminister versprochen wurde, eher schlechter.

Hast Du das Gefühl, dass die Personalsituation sich bei Dir im Krankenhaus verändert hat, und wenn ja, inwiefern?

Ja, es kündigen sehr viele. Im Umkreis wurden in den letzten Jahren zudem einige Krankenhäuser geschlossen. Im Moment kommen und gehen die Mitarbeiter.

Also müssten durch die Schließungen mehr Pflegekräfte zur Verfügung stehen.

Richtig! Viel Personal haben wir durch diese Schließung der Krankenhäuser in der Umgebung bekommen, allerdings kündigen die wieder. Die kündigen, es werden Abteilungen geschlossen. Abteilungen, die neu renoviert wurden, sind jetzt geschlossen und wir haben kein Personal. Es ist wirklich zum Verrücktwerden!

Hast Du denn das Gefühl, dass es eher an der Situation liegt oder an einem Krankenhaus selbst, dass ihr Probleme habt, Mitarbeiter zu finden. Und wenn ihr Probleme habt, wie helft ihr euch dann?

Wir haben Zeitarbeitsfirmen, die uns aushelfen und auch natürlich Arbeitskräfte von anderen Stationen. Die Stationen, die jetzt geschlossen wurden, dieses Pflegepersonal ist jetzt auf einer anderen Station. Es wird ständig Personal verteilt und ist ein stetiger Wechsel von Gesichtern. Zu einem geregelten Arbeitsalltag trägt das natürlich nicht bei.

Ist es nicht gefährlich, wenn Personal, dass sonst auf anderen Stationen arbeitet, plötzlich zu einer fachfremden Station wechselt?

Wir haben einerseits Personal, das von fremden Stationen kommt und mit unseren Krankheitsbildern nicht die Erfahrung hat oder auch nicht weiß, wie man in Notfällen reagieren sollte. Andererseits haben wir aber auch ganz viele Fremdlieger-Patienten. Es werden also nicht nur Pflegekräfte auf andere Stationen verwiesen, sondern auch Patienten in andere Stationen verlegt, weil wir nicht genug Kapazitäten haben. Das heißt, wir haben auch ganz viele andere Disziplinen auf der eigenen Station liegen, mit der wir nicht vertraut sind.

Führt dieses Hin- und Her noch zu weiteren Problemen?

Wir haben zuvor zum Beispiel immer ein Modell gehabt, jedes zweite Wochenende zu arbeiten. Mittlerweile ist das abgestellt worden, wir werden so eingesetzt, wie es gerade passt. Das heißt, es kann passieren, dass ich drei oder vier Wochenenden hintereinander arbeiten muss. Und das ist wirklich eine Belastung für uns alle. Von einem attraktiven Arbeitsplatz kann man inzwischen wirklich nicht mehr reden. Gerade im Hinblick auf das Familienleben, insbesondere mit Kindern, ist das eine sehr unbefriedigende Situation.

Wenn ihr Personalnot habt, wie sieht das konkret aus?

Es kam gerade erst vor, dass ich alleine im Spätdienst auf Station arbeiten musste.

Ist das denn überhaupt zulässig?   

Das ist es wahrscheinlich nicht. Aber was sollen wir machen? Wir haben einen Aufnahmestopp, in so einer Situation werden keine weiteren Patienten mehr aufgenommen. Aber die, die da sind, die müssen natürlich versorgt werden.

Wie kann ich mir das vorstellen, wie groß ist eine Station? Wie viele Patienten liegen da? Für wie viele Patienten bist Du zuständig?

Derzeit haben wir knapp über 20 Betten. Eigentlich hätten wir fast das Doppelte, aber aufgrund des Personalmangels kann nur die Hälfte der Station belegt werden.

Aber eine Person alleine kann ja keine 20 Patienten versorgen! Oder irre ich mich da?

Es ist auf jeden Fall sportlich! Also im Nachtdienst ist das noch, sage ich mal, überschaubar. Schlimmer ist es im Spätdienst, da war ich in einem Zimmer, weil eine Patientin postoperative Blutungen hatte. Ich musste dabei bleiben, die Ärzte rufen. Erst kam der Stationsarzt, dann kam die Oberärztin, aber währenddessen klingelten schon drei andere Zimmer . Als Krönung hatten wir dann auch noch Zugänge, also Neuaufnahmen, die besonders zeitintensiv sind, da viele grundlegende Patientendaten noch erfragt und eingetragen werden müssen. Und ja: man kann nicht zeitgleich überall sein.

Du hast gerade gesagt, Zeitarbeitsfirmen habt ihr bei euch auch im Hause. Ist das ein Fluch oder ein Segen?

Beides. Natürlich wird uns in dem Moment in dieser Situation kurzfristig ausgeholfen, aber andererseits fühlen die sich nicht in dieser Verantwortung wie wir.   

Weil das für die zum Teil egal ist, wo die heute, wo die morgen arbeiten?

Richtig, das ist ihre Einstellung. Das wird denen natürlich schmackhaft gemacht, die verdienen zum Teil das doppelte wie wir und haben noch den Luxus, sich ihre Arbeitszeiten aussuchen zu dürfen.

Was dann sicherlich auch die Missgunst in der eigenen Belegschaft steigert. Was ist mit den Gerüchten, dass es in unseren Krankenhäusern Probleme in der Kommunikation zwischen Patient und Pflegepersonal bzw. zwischen Patient und Ärzten gibt? Kannst Du das bestätigen?

Es sind wirklich viele ausländische Ärzte beschäftigt, aber auch viele Krankenschwestern in Eingliederungsmaßnahmen. Man kann das mit „Learning by doing“ zusammenfassen. Sie werden bei ihrer Eingliederung fachlich, sprachlich aber auch kulturell eingearbeitet und das ist eine große Herausforderung. Die Pfleger und Ärzte werden teilweise sogar voll gezählt, sind aber eben noch in der Anpassung. Jeder kann sich vorstellen, wie schwierig die Kommunikation sein kann, wenn Ärzte oder Pflegepersonal nur gebrochen deutsch sprechen.

Wie viele Ärzte und Pflegekräfte kommen aus dem Ausland und haben nur Grundkenntnisse der deutschen Sprache? Was schätzt Du?

Das ist schwer zu schätzen, in den letzten Jahren wird es aber immer mehr. Wir haben tagtäglich fast ausschließlich nur mit Ärzten zu tun, die uns kaum verstehen, die wir kaum verstehen, und die Patienten verstehen die sowieso nicht.

Im Krankenhausalltag hilft man sich damit aus, in dem auf die englische Sprache ausweicht oder bestenfalls jemand aus der Belegschaft dieselbe Sprache wie der Patient spricht, so dass man übersetzen kann. Das klappt jedoch auch nicht immer, so dass dann eine Kommunikation mit Händen und Füßen oder mit einem Übersetzungsprogramm stattfinden muss.

Aber ich sag mal ein bisschen süffisant, aber zum Glück geht es ja nicht um Leben und Tod bei Dir auf der Arbeit…

So ist es, ja.

Hast Du denn das Gefühl, Veronika, dass die Sprachbarriere zum Nachteil des Patienten werden könnte?

Es ist nicht nur das Deutsch, das Probleme macht. Manchmal frage ich mich, was steckt da jetzt tatsächlich hinter? Ist das nur die Sprachbarriere oder ist das was anderes, woher kommen die? Warum fehlt es bei ihnen an den Basics? Warum muss ich denen als Krankenschwester sagen, was sie zu tun haben? Ich hatte im Nachtdienst mal eine Patientin, der ging es sehr schlecht und ich habe mehrmals den Arzt gerufen. Aber er hat das Problem einfach nicht erkannt. Hinterher habe ich dann einfach die Sachen gemacht, die er mir hätte delegieren müssen. Ich habe sie gemacht und ihn zur Kenntnis gesetzt, dass ich sie gemacht habe, damit er einfach weiß, was ich gerade tue. Und die Patientin musste im Anschluss tatsächlich dann dreimal in Folge operiert werden, lag sehr lange auf Intensivstation. Das hätte man, wenn man rechtzeitig gehandelt hätte, sicherlich vermeiden können.   Und hätte ich nicht gehandelt, wäre es sehr wahrscheinlich noch schlimmer gekommen.

Ist das ein Ausnahmebeispiel oder gibt es genau diese Schicksale öfters?

Ich stelle die Frage mal anders, wie fühlt es sich für Dich an, wenn Menschen, die Dir nahe stehen, ins Krankenhaus kommen? Hast Du das Vertrauen in das Krankenhaus? Suchst Du ein bestimmtes Krankenhaus aus? 

Also tatsächlich nutzt es heutzutage ja nichts, finde ich, ein Krankenhaus auszusuchen. Es herrscht überall dasselbe Problem.

Und es gibt in bestimmten Städten ja auch nur noch ein Krankenhaus im Umfeld.

So ist es. Ich bevorzuge immer, meine Angehörigen in das Krankenhaus zu holen, wo ich selber auch arbeite. Ich kenne die Mediziner und die Belegschaft und kann darum bitten, dass die dann nach meinen Angehörigen speziell gucken.

Der Vitamin B Bonus! Was muss sich Deiner Meinung nach ändern? Was forderst Du von der Politik?

Also die Krankenhäuser dürften nicht privatisiert werden, so wie es jetzt aktuell der Fall ist. Denn dann zählt einfach nicht mehr der Mensch, der steht nicht mehr im Vordergrund, sondern die Zahlen müssen stimmen. Und genau das spüren wir einfach viel zu stark.

Es geht nur um Geld und Gewinn, nicht darum, dass Menschen gesund werden. Das ganze System ist absurd. Das System der Fallpauschalen, nach denen Krankenhäuser für ihre Leistungen bezahlt werden, führt beispielsweise dazu, dass unnötige Behandlungen zunehmen, weil sie viel einbringen und wichtige Behandlungen ausbleiben, weil sie zu wenig Geld bringen. Das darf nicht sein und gefährdet massiv das Patientenwohl. Was die Politik tun soll? Laut meiner Kenntnisse arbeitet das Gesundheitsministerium an neuen Gesetzen und Reformen, die insbesondere die Fallpauschalen überarbeiten wollen, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es grundlegend auf den Prüfstand gestellt und insbesondere, nicht kurzfristig geschehen wird. Da wünsche ich mir einfach eine schnellere Umsetzung.

Was könnte Dein Krankenhaus konkret besser machen, um die Mitarbeiter, die überhaupt noch da sind, wirklich weiter bei der Stange zu halten?

Wertschätzung im Allgemeinen. An der Situation an sich ändert sich ja nichts. Wenn ich dann plötzlich im Spätdienst da allein stehe, stehe ich halt alleine. Aber anrufen, fragen, Hilfe anbieten. Dankbarkeit und Respekt öffnen viele Türen!

Warum haben Sie nicht längst das Handtuch geworfen? Es gibt doch bestimmt auch Krankenhäuser, bei denen die Situation besser ist?

Ich habe von mehreren ehemaligen Kollegen gehört, die gegangen sind, dass sie mit dem Arbeitgeber, wo sie jetzt sind, deutlich zufriedener sind. Private Krankenhäuser haben beispielsweise auch oft bessere Arbeitsbedingungen. Oder man entscheidet sich für eine Klinik in einer anderen Stadt, weil das Feedback von Ex-Kollegen so gut ist, dass man die weitere Anfahrt in Kauf nimmt, dieser aber dennoch eine bessere Work-Life-Balance für einen selbst bedeutet. Viele gehen zum Beispiel auch in die außerklinische Beatmungspflege.

Für Dich kommen diese Optionen nicht in Frage?

Nein! Ich hatte ein schwerkrankes Familienmitglied und das hat mir letztes Jahr noch mal gezeigt, dass ich richtig bin im Krankenhaus. Es sind einfach heutzutage viel zu wenig gute Kräfte noch in den Krankenhäusern vorhanden. Ich habe wirklich das Gefühl gebraucht zu werden.

Schönes Schlusswort: Wenn alle sich nur beschweren und das Krankenhaus verlassen, wird das Krankenhaus natürlich nicht besser. Veronika, eine abschließende Frage, gerade nach dem Stress, den Du dann bei Dir im Alltag hast und bei den kurzen Dienstwechseln und den Wochenenddiensten, gibt es bei uns am Ennepe-Ruhr-Kreis einen Ort, wo Du dann gut abschalten kannst?

Ich liebe Spaziergänge in unseren schönen Wäldern und ich bummel auch gerne durch unsere Städchen. Und ich bin gerne an der Hasper Talsperre, auch wenn die natürlich zu Hagen gehört.

Vielen lieben Dank, Veronika. Dir alles erdenklich Gute für die Zukunft und vielen Dank noch mal, dass Du auch den Mut hattest, mit uns über dieses Thema zu sprechen.

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